ReichsbürgerWahnfantasien der Putschisten machten selbst vor Kindern nicht Halt

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Bei einer Razzia gegen sogenannte „Reichsbürger“ führen vermummte Polizisten, nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII Prinz Reuß zu einem Polizeifahrzeug.

Bei einer Razzia gegen sogenannte Reichsbürger führen vermummte Polizisten, nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII. Prinz Reuß (2.v.r.) zu einem Polizeifahrzeug.

Mitglieder der mutmaßlichen Terrorzelle sollen eine Achtjährige als „Kronzeugin“ missbraucht und geholfen haben, einen Fünfjährigen zu entführen.

Die Waffen lagen bereit und die möglichen Todeslisten waren den Ermittlungen zufolge schon geschrieben. Wenn demnächst die Prozesse gegen die mutmaßliche Terrorzelle um Heinrich XIII. Prinz Reuß eröffnet werden, steht auch die deutsche Justiz vor einer Herausforderung. Noch nie waren in der Bundesrepublik auf einen Schlag so viele extrem gefährliche Verdächtige festgenommen worden wie in diesem Verfahren um die Pläne zu einem gewaltsamen Umsturz. Gegen 27 mutmaßliche Hauptakteure, darunter Polizisten und Ex-Militärs, wurde bereits Anklage erhoben. Weitere 42 Ermittlungsverfahren laufen.

Es sind auch die irrsinnig anmutenden Fantasien einiger Beschuldigten, die die Richter bei der strafrechtlichen Beurteilung berücksichtigen müssen. Laut Bundesanwaltschaft rotteten sich Corona-Leugner mit Republikfeinden aus der Reichsbürger-Szene und sogenannten QAnon-Anhängern zusammen. Letztere glauben ernsthaft, dass pädokriminelle-satanische Eliten über einen Machtapparat, den „Deep State“, eine globale Diktatur anstreben. Dazu würden auch Kinder in unterirdischen Kellern gefoltert.

Auf der Suche nach den unterirdischen „Folterkellern“

Die fixen Ideen sind nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ nicht nur zu einem zentralen Denkmuster der mutmaßlichen Terror-Truppe geworden, die sich selbst „Vereinigung“ nannte. Sie sollen unter anderem auch zu Bespitzelungen geführt haben, eine schwer traumatisierte Achtjährige soll als „Kronzeugin“ missbraucht und ein Fünfjähriger soll mithilfe eines Ex-Militärs der Gruppe sogar entführt worden sein.

Die mutmaßlichen Verschwörer hatten den Ermittlungen zufolge das Ziel, zunächst einige Kinder aus den angeblichen Folterkellern in Süddeutschland zu befreien. Dabei und bei der Suche nach diesen Gräuelorten sollten vor allem die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr-Eliteeinheit KSK helfen, die sich der Gruppe bereits angeschlossen hatten. Zwillingsbrüder aus der Schweiz, Giuseppe und Manuele M. (Namen geändert), sollen zudem gegen ein Honorar beauftragt worden sein, die Eingänge weiterer unterirdischer Missbrauchsgefängnisse in ihrem Land aufzuspüren. Nach den Befreiungsaktionen würden die Presse und Öffentlichkeit endlich kapieren, was los sei, glaubten die mutmaßlichen Verschwörer. Dann würden alle mitmachen beim Putsch gegen die jetzige Regierung. So steht es in den Akten der Bundesanwaltschaft.

„Elixier“ für das ewige Leben

Führende Mitglieder der „Vereinigung“ wie etwa deren mutmaßlicher „Militärchef“, ein ehemaliger Oberstleutnant, waren laut den Ermittlern davon überzeugt, dass aus den Kinderkörpern ein Elixier für das ewige Leben gewonnen würde. Um den Stoff namens Adrenochrom abzuzapfen, betreibe der „Deep State“ im Untergrund militärisch-industrielle Komplexe, die durch die Unicef stetig mit minderjährigen Opfern versorgt würden.

Eine Wahnwelt ohne Grenzen, die in der Gruppendynamik immer weiter eskalierte. Aussagen zufolge habe beispielsweise die tödliche Flutkatastrophe im Ahrtal Mitte Juli 2021 angeblich nur ein Ziel gehabt: Alte Regierungsbunker zu fluten, um die Folterspuren zu verwischen. Eine Esoterikerin, die zum Kernzirkel der Umstürzler gehörte, ging von 600 Kinderleichen aus, die nach der tödlichen Flutwelle gefunden worden wären.

Achtjähriges Mädchen als angebliche „Kronzeugin“ missbraucht

Auf der Suche nach Beweisen soll sich die „Vereinigung“ auf den Fall der Schülerin Nathalie und ihrer Mutter Maria K. (Namen geändert) konzentriert haben. Die anthroposophische Musikerin aus der Nordwestschweiz hatte im Sorgerechtsstreit gegen ihren Ex-Mann monströse Vorwürfe erhoben. Demnach soll der Vater das achtjährige Mädchen einer pädokriminellen Sekte übergeben haben, die kannibalistische Praktiken durchführte. Auch von Missbrauch in Folterkellern war die Rede.

Die Schweizer Staatsanwaltschaft ermittelte. Der Fall ging in der Alpenrepublik und Deutschland groß durch die Presse. Psychologische Gutachter stellten allerdings fest, dass die Mutter gelogen hatte, um den Sorgerechtsstreit zu gewinnen. Die Tochter habe nur die Geschichten nacherzählt, die die Mutter ihr zuvor erzählt hatte.

Vater des traumatisierten Mädchens sollte bespitzelt werden

Die mutmaßliche Terror-Gruppe hingegen glaubte die Anschuldigungen. Im Herbst 2021 wurde die Familie kontaktiert. Maria K. übersandte den Möchtegern-Putschisten eine Namensliste der angeblichen Täter. Dabei handelte es sich um ein Konvolut von Ärzten, Psychologen, Schweizer Justizbeamten und Mitgliedern der Gemeindeverwaltung. Sofort reiste eine Abordnung der Terror-Truppe in die Schweiz und interviewte die achtjährige Nathalie. Ein Mitschnitt wurde an führende Protagonisten der „Vereinigung“ mit dem Hinweis versandt, dass dieser einzig für militärische Zwecke gedacht sei.

Zudem wurden die Zwillingsbrüder M. beauftragt, Nathalies Vater zu beschatten. In der Hoffnung, dass der die Organisation zu den unterirdischen Militärstützpunkten in der Schweiz führen würde. Besonders verstrickt in den Folterkellerwahn gewesen sein soll ein ehemaliger Stabsoffizier vom KSK. Den Kinderschänder-Ring der Regierenden müsse man gewaltsam aufspüren, unter Folter Geständnisse erzwingen und diese als Videoaufnahmen veröffentlichen, soll der Mann gefordert haben.

Ein fünfjähriger Junge soll entführt worden sein

Angefeuert von seinen Überzeugungen soll er dann dabei geholfen haben, eine Kindesentführung zu inszenieren. Eine Freundin von Nathalies Mutter befürchtete, dass ihr fünfjähriger Sohn ebenfalls in den unterirdischen Anlagen sexuell missbraucht werden könnte. Mit Hilfe des Ex-Militärs von der „Vereinigung“ soll sie den Jungen deshalb nach Süddeutschland verschleppt haben. Dort wurde die Frau von der Polizei gestellt. Kürzlich erst erhob die Solothurner Staatsanwaltschaft Anklage gegen die 42-jährige Deutsche wegen Kindesentführung. Nathalies Mutter muss sich wegen des Verdachts der Beihilfe ebenfalls verantworten.

Und dann noch die Schweizer Zwillinge. Deren Suche nach den unterirdischen Folterkellern blieb erwartungsgemäß erfolglos. Auch versprochene Waffen lieferten sie nicht. Letztlich ergaunerten sich die Schweizer laut Anklage mit immer neuen Ausreden vermutlich fast eine halbe Million Euro aus der Putschisten-Kasse. Inzwischen ermittelt die Schweizer Bundesanwaltschaft gegen die Zwillinge wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

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