Berühmte LeihgabeDas Kölner Wallraf zeigt die „Karlsruher Passion“ in ganzer Pracht

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Die Entkleidung Christi vom Meister der Karlsruher Passion (Hans Hirtz), um 1450 

Köln – Selbst wenn man es besser weiß, staunt man doch immer wieder über das etwas schmalbrüstige Format vieler mittelalterlicher Meisterwerke. Auch die „Karlsruher Passion“ hatte man sich irgendwie barocker vorgestellt, ja, geradezu monumental angesichts des donnernden Rufs, der dieser ebenso virtuosen wie blutrünstigen Darstellung der Leiden Christi bis in unsere Zeit vorauseilt.

Aber die Holztafeln wurden eben weder für barocke Residenzen noch für päpstliche Sammlungen geschaffen, sondern vermutlich für eine Stiftskirche in Straßburg. Der auf ihnen festgehaltene Anspruch ist freilich alles andere als bescheiden: Wer diese Bilder sah, sollte an den Menschen verzweifeln und sich zugleich gerettet fühlen.

Jetzt hängen die sieben erhaltenen Tafeln der „Karlsruher Passion“ in einem einzigen Raum des Kölner Wallraf-Richartz-Museums, beginnend mit dem Gebet am Ölberg und endend mit der Kreuzannagelung. Es ist eine der seltenen Gelegenheiten, diesen fantastischen, um das Jahr 1450 entstandenen Bilderreigen in seiner Gesamtheit zu sehen, denn wie so viele mittelalterliche Werke wurde die Passion in einzelne Stücke zerteilt und in alle Himmelsrichtungen zerstreut.

Hans Hirtz gilt als Maler der Passion, gesichert ist das aber nicht

Es mutet wie ein kleines Wunder an, dass die Staatliche Kunsthalle in Karlsruhe heute nicht weniger als sechs Tafeln besitzt (daher trägt die Straßburger Arbeit ihren behelfsmäßigen Titel), das fehlende siebte Stück gehört seit 1859 dem Kölner Wallraf. Wobei vermutlich noch mehr fehlt, jedenfalls streiten die Experten darüber, ob die „Karlsruher Passion“ ursprünglich aus acht, zehn oder vielleicht sogar zwölf Tafeln bestand. Über den mutmaßlichen Schöpfer herrscht hingegen Einigkeit: Seit 1952 gilt der Straßburger Meister Hans Hirtz als Maler der Passion. Allerdings ist das auch schon beinahe alles, was man über Hirtz zu sagen weiß.

Am Ende ist es freilich gleich, wie viele Bilder die „Karlsruher Passion“ umfasste. Allein die sieben erhaltenen bieten mehr, als ein einzelner Mensch ertragen kann. Die drastische Darstellung der Leidensgesichte ist nicht nur für ihre Entstehungszeit beispiellos, sie lässt einen auch dann noch erschauern, wenn man durch die christliche Fleischeslust eines Mel Gibson gegangen ist.

Schon das zweite Bild des Reigens, die Kölner Gefangennahme, ist ein brutaler Tumult, auf dem sich die Menschen buchstäblich über dem gefesselten, an Seilen gezogenen Jesus türmen. Hirtz lässt die biblischen Soldaten und Schergen zu einem heillosen Pulk verschmelzen, um dann jeden Einzelnen durch seine besondere Grobheit aus der Masse hervorzuheben. Einer spuckt Jesus ins Gesicht, ein anderer zieht an seinen Haaren, ein dritter reißt den Hilflosen empor.

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Gesteigert wird diese gedrängte Aggression im Finale der Kreuzannagelung, auch wenn das Bild deutlich luftiger erscheint. Allerdings lässt Hirtz den Figuren lediglich mehr Raum, um ihrer Verkommenheit eine volkstümliche Bühne zu bereiten. Im Vordergrund verhöhnt ein Henker die trauernde Muttergottes, während seine Gesellen ihre Nägel mit grimmiger Wonne durch den Körper des verurteilten Christus treiben. In der Bildmitte blickt uns ein anderer Henker unverwandt und provozierend an, während er Jesus den Ellenbogen in die Magengrube drückt. Man könnte meinen, mit ihm hat die Boshaftigkeit über die bis zur Bewusstlosigkeit geschundene Güte gesiegt. Jedenfalls scheint von hier kein Weg in eine bessere Welt zu führen.

Roland Krischel, Leiter der Mittelalter-Abteilung des Wallraf, hat für die „Karlsruher Passion“ bewusst einen Raum der ständigen Sammlung reserviert, also in der Nachbarschaft der altkölnischen Meister. Krischel hält es für möglich oder sogar wahrscheinlich, dass sich Hirtz zu Studienzwecken in Köln aufhielt und von diesem Besuch einige Anregungen mitnahm. Als Beleg hängt eine um 1430 in Köln entstandene Leidensgeschichte an der Stirnwand, die der späteren „Karlsruher Passion“ in einigen auffälligen Details ähnelt.

Auch das Werk Stefan Lochners ließe sich zu Vergleichszwecken heranziehen. Wie dieser bediente sich Hirtz bei den revolutionären Errungenschaften der niederländischen Malerei, etwa indem er Rüstungen mit Spiegelungen verzierte.

Auf einigen Bildern werden die Menschen antisemitisch aufgewiegelt

Allerdings sieht Krischel einen entscheidenden Unterschied zwischen der altkölnischen und der Straßburger Malerei: Mit der Emotionalisierung der Leidensgeschichte gehe bei Hirtz eine malerische „Aufrüstung“ einher, die auch starke antijüdische Effekte einschließe. Tatsächlich finden sich im Gemenge einige karikaturhafte Darstellungen von Juden, und über der Gefangennahme Christi weht eine Fahne mit hebräischen Schriftzeichen. Anders als in Köln brach sich die malerische Aufwiegelung gegen die angeblichen Mörder Jesu in Straßburg offenbar weitgehend ungezügelt eine Bahn. In beiden Städten hatte es im Jahr 1349 Pogrome gegeben. Aber zu Lochners Zeit, so Krischel, sei ein derart ungeschminkter Anti-Judaismus in Köln nicht mehr opportun gewesen.

Immerhin bis April 2023 ist das Wallraf Nutznießer der aufwendigen Renovierungsarbeiten an der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe; sie machten die langfristige Leihe wohl überhaupt erst möglich. Gleichsam als Dankeschön präsentiert Roland Krischel eine neue Hypothese zur Frage, in welcher Form die Passionsbilder einst in der Straßburger Stiftskirche gezeigt wurden. Mit der Altartheorie sind die wenigsten Experten glücklich, und auch die Annahme, sie hingen in Reih und Glied an einer Wand, überzeugt nicht unbedingt. Krischel glaubt, sie könnten bemalte Türflügel von Schränken gewesen sein, die mit gewöhnlichen Gegenständen für den Gottesdienst gefüllt waren. Das klingt wie eine ungeheure Verschwendung an Talent. Aber das Mittelalter hatte im Überfluss davon.

„Ganz. Schön. Heftig. Die Karlsruher Passion“, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Obenmarspforten, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 16. April 2023. Eröffnung: 7. April, 19 Uhr.

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