Interview mit Maximilian SteinbeisWie krisenfest ist unsere Demokratie?

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Foto Maximilian Steinbeis

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Was bedeutet es für eine Demokratie, wehrhaft zu sein? Maximilian Steinbeis forscht darüber, wie anfällig unsere Demokratie ist. Ein Interview.

Die bundesdeutsche Demokratie versteht sich als „wehrhaft“. Was bedeutet das konkret, gerade angesichts des Erstarkens extremistischer und antidemokratischer Kräfte?

Maximilian Steinbeis: Wehrhaftigkeit bedeutet Antizipation. Es ist wichtig, sich schon jetzt Gedanken darüber zu machen, welche Einflussmöglichkeiten autoritäre Populisten nach der nächsten Wahl haben könnten. Darauf basiert unsere Arbeit im Thüringen-Projekt. Wenn man absieht, wie Antidemokraten Recht und Macht missbrauchen könnten, gibt es Möglichkeiten, sich darauf vorzubereiten. Es wäre zum Beispiel möglich, das Recht jetzt noch an einigen Stellen anzupassen und zu konkretisieren – etwa um zu vermeiden, dass autoritäre Kräfte in Zukunft die Wahl von Bundesverfassungsrichtern blockieren können. Genauso wichtig ist es, offen über diese Gefahren zu sprechen, deshalb leisten wir gerade auch so viel Aufklärungsarbeit. Das Gefährlichste wäre, naiv und unvorbereitet zu sein.

Maximilian Steinbeis erklärt, wie krisenfest unsere Demokratie ist

Für wie krisenfest halten Sie unsere Demokratie?

Unsere Demokratie ist darauf ausgelegt, eine große Vielzahl verschiedener Meinungen, Weltansichten und auch Parteien auszuhalten. Ein Teil des aktuellen Problems ist, dass autoritäre Populisten wie die AfD legal-formalistisch vorgehen – sie höhlen das System von innen aus, ohne dabei geltendes Recht zu brechen. Da geht es nicht länger um bloße parteipolitische Unterschiede, sondern um eine Missbrauchsabsicht gegenüber unserem Rechtssystem.

Wie könnte man diesen Missbrauch verhindern?

Die Abwehr dagegen ist nicht, eine wasserfeste Verfassung zu bauen – die gibt es nicht. Man kann aber Kriterien bilden, wann der Gebrauch eines Rechts missbräuchlich ist. Außerdem gibt es die Möglichkeit eines Parteiverbots, dessen Erfolgsaussichten man unbedingt prüfen sollte. Man ist dieser Vorgehensweise also nicht wehrlos ausgesetzt.

Das Bundesverfassungsgericht hat die freie Presse immer wieder als ein unverzichtbares Lebenselement der Demokratie bezeichnet. Wie würden Sie die Rolle der Pressefreiheit für die wehrhafte Demokratie beschreiben?

Die freie Presse ist überlebenswichtig für die Demokratie. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus – dafür braucht es eine gut informierte Öffentlichkeit. Außerdem helfen Presse und Medien den Menschen dabei, aktuelle Ereignisse einzuordnen. Wenn Björn Höcke sein Wahlziel öffentlich als „33 plus x Prozent“ bekanntgibt, dann ist vielleicht nicht sofort klar, weshalb das so brisant ist. Wenn man diese Aussage aber als Teil einer Strategie versteht, ist klar: Die AfD möchte eine Sperrminorität erlangen, um viele Entscheidungen blockieren zu können. Die Presse hilft dabei, diese rechtsmissbräuchliche Systematik zu beleuchten. Das stärkt die Demokratie.

Wo sehen Sie Gefahren für die Pressefreiheit? Und was könnte oder müsste getan werden, um eine freie Presse zu sichern und zukunftsfest zu machen?

Es ist ein großes Problem, dass autoritär-populistische Kräfte wie die AfD Presse und Medien zu ihrer Zielscheibe machen. Sie versuchen, den öffentlichen Diskurs zu kontrollieren und für sich einzunehmen. Dazu gehört auch der Vorwurf der Lügenpresse. Im Rahmen des Thüringen-Projekts haben wir uns angeschaut, welche Handlungsmöglichkeiten die AfD bald haben könnte – je nach Wahlausgang. Sollte Björn Höcke Ministerpräsident werden, könnte er etwa den MDR-Staatsvertrag aufkündigen, ohne den Landtag oder die übrigen Regierungsmitglieder einzubinden. Politisch wäre diese Entscheidung nicht unwahrscheinlich. Wenn man eine Beteiligung des Landtages für die Aufkündigung in die Verfassung schreiben würde, könnte man dies für die Zukunft zumindest etwas weniger leicht machen. So kann das Recht dabei helfen, die Presse- und Medienfreiheit zu schützen. 

Das Gespräch führte Andrea Gourd (BDZV)


Zur Frage, wie anfällig die bundesdeutsche Demokratie für autoritäre Entwicklungen ist, forscht und publiziert Maximilian Steinbeis. Der Jurist und Journalist gründete 2009 mit dem Verfassungsblog eine internationale Online-Plattform zu verfassungsrechtlichen Fragen. Als Schnittstelle von Wissenschaft und Journalismus fördert das Forum die öffentliche Debatte. Erklärtes Ziel ist es, durch Aufklärung und Transparenz den Rechtsstaat und die Demokratie zu stärken.

Was aber, wenn politisch Verantwortliche das Gegenteil im Sinn hätten? Anlässlich der bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen im Herbst 2024 setzt sich Steinbeis im „Thüringen-Projekt“ mit dieser Frage auseinander. Er untersucht, wie verwundbar die demokratischen Institutionen sind. Welche Spielräume hätte eine autoritär-populistische Partei auf Landesebene, um ihre Macht zum Schaden der Demokratie einzusetzen? 

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