Legendärer Filmemacher gestorbenBei Roger Corman hatte Ausbeutung einen süßen Klang

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Roger Corman lehnt sich mit einer Maschinenpistole in den Händen aus einem Autofenster.

Roger Corman um 1970 bei Dreharbeiten zu einem seiner Filme.

Roger Corman zeigte der Welt, was sie sehen wollte: Reißerische Filme mit billigen Effekten und verrückten Einfällen am Fließband.

Er drehte Filme, die außer ihm niemand mehr drehen, aber zur Überraschung Hollywoods noch sehr viele Menschen sehen wollten. Billige Filme, in denen die Geister des alten B-Kinos wiederkehrten, um in Autokinos und Spätvorstellungen zu spuken, in denen Gangster, Revolverhelden und verrückte Wissenschaftler ihr Publikum mit den kaputten Ecken einer angeblich heilen Welt vertraut machten. Das funktionierte so gut, weil Roger Cormans Fließbandproduktion zum schmuddeligen Ende der Traumfabrik gehörte. Wenn sich ein Regisseur über schludrige Drehbücher, laienhafte Schauspieler oder klapprige Requisiten beschwerte, antwortete ihm Corman einfach: Wenn Du Deine Sache gut machst, brauchst Du nie wieder für mich zu arbeiten.

Bei ihm drehten Martin Scorsese und Robert De Niro ihre ersten Filme

Seinen Ehren-Oscar erhielt Roger Corman nicht für seine zahllosen Regiearbeiten, sondern weil er sich als Produzent traute, jedem Niemand einen Job zu geben und ihm ein vergleichsweise lächerliches Budget anzuvertrauen. Floppte ein Film, purzelte bereits der nächste vom Fließband seines Heimwerker-Imperiums: Dieses Geschäftsmodell verhalf Martin Scorsese ebenso zum Einstieg ins Filmgeschäft wie Francis Ford Coppola, Peter Bogdanovich, Ron Howard oder Irvin Kershner, und auch spätere Leinwandstars wie Jack Nicholson oder Robert De Niro absolvierten ihre ersten Auftritte unter Cormans gütigen Augen. Für sie erfüllte sich sein Versprechen, weshalb sie ihn in dankbarer Erinnerung behielten. Andere kamen wieder: die weniger talentierten, aber auch Außenseiter wie Monte Hellman, der seine innere Freiheit höher schätzte als die ersehnten höheren Budgets.

Seine Blütezeit als Regisseur erlebte Roger Corman Anfang der 60er Jahre

Als Regisseur erlebte Corman seine Blütezeit Anfang der 60er Jahre. Er klopfte alte Stoffe auf moderne Schauereffekte ab, ersetzte die Literaturverfilmung durch die liebevolle Literaturverhunzung (besonders erfolgreich bei Edgar Allan Poe) und schuf mit „The Litte Shop of Horrors“ einen Klassiker, der für das deutsche Studentenkino wurde, was die „Feuerzangenbowle“ für die Generation der Eltern war: ein Nostalgietrip ins Abgründige. Die Geschichte einer mörderischen Riesenpflanze steckt voller kranker Einfälle, wobei der Funke nur in der berühmten Szene überspringt, in der Jack Nicholson als masochistischer Patient einen sadistischen Zahnarzt zur Verzweiflung treibt.

In den 1970er Jahren versuchten einige Filmkritiker, Corman als Helden des subversiven Untergrundkinos zu etablieren, doch ging diese Ehrung an dessen Selbstverständnis vorbei. Seine Kinofabrik war ein klassischer Ausbeutungsbetrieb, sowohl in finanzieller wie in intellektueller Hinsicht. Corman zahlte schlecht und machte sich allein die Sensationslust des Publikums zum Verbündeten. Im Hollywood der 1930er Jahre wäre aus ihm vielleicht ein origineller B-Film-Regisseur geworden, dessen fehlendes visuelles Gespür durch das Genie des Studiosystems ausgeglichen worden wäre. Aber dieses alte System gab es nicht mehr. Corman musste es neu erfinden, um seine Filme machen zu können, als Travestie und mit sich selbst als Pionier einer verlorenen Zeit.

Seine Liebe zur Filmkunst zeigte Corman vor allem als Verleiher. Er brachte die Werke der europäischen Autorenfilmer, von Ingmar Bergman bis François Truffaut, in die US-Kinos und erfand für sie eine oft kopierte Marketingstrategie. Zu dieser Ausdehnung des eigenen Geschäftsmodells kam später noch die Selbstvermarktung hinzu: Mit einer Autobiografie und verschiedenen „Roger Corman präsentiert“-Formaten im Spartenfernsehen arbeitete er tatkräftig am eigenen Ruhm. Seine Behauptung, er habe niemals Geld mit einem Film verloren, muss man ihm zwar nicht glauben. Aber der Verkauf seines üppigen Filmkatalogs im Heimvideo-Zeitalter dürfte ihm diesem Ideal sehr nah gebracht haben. Jetzt ist Roger Corman im Alter von 98 Jahren gestorben. Sein großzügiger Geschäftssinn, darauf darf man hoffen, wird ihn überleben.

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