Schleidener Familie droht TrennungFamilie will kranken Joel vor Corona schützen

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Schleiden – „Wir hatten schon vor Corona kein normales Leben. Doch durch den Ausbruch der Pandemie ist alles noch viel schwieriger geworden“, erklärt Jessica Schumacher, die mit ihrem Mann Kevin und den Kindern Julyana (11), Amy (9), Julian (7) und Joel (3) in Schleiden-Oberhausen lebt. Denn Joel ist seit seiner Geburt schon mehrfach schwer erkrankt und gehört deshalb zu den Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben, bei einer Ansteckung schwer an Covid-19 zu erkranken.

Zu diesem Schluss kommen zumindest zwei behandelnde Ärzte. Deshalb durften die Schumachers bislang die drei anderen Kinder zu Hause zu unterrichten. Doch nun soll damit Schluss sein, der Familie droht die Trennung.

Schule besteht auf Präsenzpflicht

Während Amy und Julian noch bis Ende November zu Hause bleiben dürfen, soll Julyana ab Montag wieder das Johannes-Sturmius-Gymnasium in Schleiden besuchen. Dort war sie nach Angaben der Mutter seit dem Beginn des Schuljahres nur gut eine Woche gewesen. Doch Schulleiter Georg Jöbkes besteht jetzt auf die Teilnahme am Präsenzunterricht und stützt sich dabei auf die Vorgaben der Bezirksregierung und auf ein Gutachten des Gesundheitsamts des Kreises Euskirchen.

Gesetzliche Regelung

Nach Auskunft der Bezirksregierung Köln können Eltern von Schülern, die mit einem vorerkrankten Angehörigen zusammenleben und bei dem deshalb ein besonders hohes Infektionsrisiko besteht, laut Schulgesetz eine Beurlaubung beantragen. Die Schulleitung entscheidet darüber und bittet das zuständige Gesundheitsamt um eine Einschätzung.

Vorrang hätten aber Maßnahmen zum Schutz der Angehörigen in der Familie. Die Nichtteilnahme von Schülern am Präsenzunterricht könne nur in eng begrenzten Ausnahmefällen und nur vorübergehend in Betracht kommen. Das sei vor allem dann der Fall, wenn der Angehörige akut krank sei. Voraussetzung sei, dass ein Attest vorgelegt werden könne. (wki)

„Was die Eltern sagen und von den Ärzten attestiert wird, können wir nicht nachvollziehen“, erklärt der Leiter des Gesundheitsamts, Christian Ramolla. In den eingereichten Unterlagen gebe es keine Röntgenbilder oder Laboruntersuchungen, die die Einschätzung der Hausärzte untermauern. Zwei Fachgutachter seien der Meinung, dass sich „weder bei Julyana noch bei dem Geschwisterkind Erkrankungen objektivieren lassen, die grundsätzlich und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für ein höheres Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion oder für einen schweren Verlauf der Erkrankung sprechen würden“.

Jessica Schumacher kann nicht nachvollziehen, wie man zu dieser Einschätzung kommen kann, und will nun mit ihrem Sohn zu einer Verwandten ziehen, um ihn vom Rest der Familie zu isolieren und ihn vor einer möglichen Infektion durch die Geschwister zu schützen.

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Joel, so berichten die Schumachers, war seit seiner Geburt häufig schwer krank. „Der Patient hat eine deutlich erhöhte Anzahl von Infektionen, die meist über mehrere Wochen gehen“, heißt es in dem Attest des Hausarztes, dessen Einschätzung noch von einer weiteren niedergelassenen Ärztin geteilt wird. Er habe in zweieinhalb Jahren 14 Lungenentzündungen gehabt und leide auch unter Herzrhythmusstörungen. Ferner habe er schon vor dem ersten Geburtstag den Pflegegrad zwei zugesprochen bekommen. Wegen der Erkrankungen sei er ein Risikopatient.

„Um unseren Sohn zu schützen, haben wir deshalb seit dem ersten Lockdown alle Kinder zu Hause unterrichtet“, erzählt Jessica Schumacher. Die Rückmeldungen der Lehrer seien durchweg positiv. „Amy hat sich sogar verbessert“, sagt die Mutter.

Gesundheitsamt kommt zu völlig anderem Ergebnis

Das Gesundheitsamt kommt hinsichtlich des Zustandes von Joel zu einem völlig anderen Ergebnis. „Das Kind wurde kardiologisch und neurologisch untersucht, und es gibt keine Belege und sonstigen Hinweise auf eine Vorerkrankung“, erklärt Ramolla. Auch eine Immunschwäche sei nicht attestiert worden.

Aus wissenschaftlicher Sicht sei Joel kein Risikopatient. Auch bei den von der Krankenkasse übernommenen Leistungen gebe es keine Anzeichen. „Das Kind hatte nicht mehr als zwölf Infekte pro Jahr, und das ist ein normaler Wert“, so Ramolla. Ungewöhnlich sei nur, dass Joel häufig Antibiotika erhalten habe: „Wir wissen aber, dass Allgemeinmediziner Kinder häufiger mit Antibiotika behandeln als Kinderärzte.“

In den Unterlagen der Ärzte der Familie Schumacher gebe es auch keine Hinweise auf die Lungenentzündungen: „Es liegen ferner keine Beschreibungen der Symptome vor, die bei dem Patienten aufgetreten sind.“ Die Hausärztin spreche sich zwar für ein Ruhen der schulischen Präsenzpflicht aus, ohne dies allerdings wissenschaftlich fundiert zu begründen.

Jessica Schumacher: Laborbericht beweist Herzmuskelerkrankung

„Es gibt einen Laborbericht, der beweist, dass Joel eine Herzmuskelentzündung hatte. Auch bei dem Test auf Immunschwäche gab es Auffälligkeiten“, hält Jessica Schumacher dagegen. Weitere Untersuchungen seien wegen der Pandemie nicht möglich gewesen. „Dafür müsste Joel nach Aussagen eines Kinderarztes stationär in ein Krankenhaus aufgenommen werden. Dieses Risiko wollen wir jetzt nicht eingehen“, sagt die Mutter, die nicht verstehen kann, „warum unseren Ärzten kein Glauben geschenkt wird“. Die würden Joel doch seit seiner Geburt kennen. „Stattdessen wird lieber das Leben unseres Kindes riskiert.“ Alle beteiligten Stellen würden sich hinter dem Schulgesetz verstecken.

Immer mehr Fälle

Schulleiter Georg Jöbkes verweist auf die Vorgaben der Bezirksregierung (siehe „Gesetzliche Regelung“): „Das Schulministerium räumt dem Präsenzunterricht einen hohen Stellenwert ein. Da sehe ich keinen Handlungsspielraum.“

Da auch das Gesundheitsamt keine weitere Freistellung befürworte, sei vorgesehen, dass Julyana ab Montag wieder am Unterricht teilnehme, schreibt Jöbkes den Eltern und lädt sie zum Beratungsgespräch ein. Ramolla betont, dass die Schulen bislang keine Treiber der Pandemie seien: „Die Familie sollte die Hygienemaßnahmen umsetzen und sich nicht trennen.“

Die Schumachers sind kein Einzelfall. Laut Bezirksregierung Köln steigt die Zahl der Verfahren, weil Eltern mit den Entscheidungen der Behörden nicht einverstanden sind.

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