Körper auf EisWann und wie Kälte-Therapie am besten wirkt

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Kryosauna: Der Körper wird in eienr Kammer mithilfe von Stickstoff  kurz gekühlt.

Kryosauna: Der Körper wird in eienr Kammer mithilfe von Stickstoff kurz gekühlt.

Ob Winterbad, Kryosauna oder Kühlpads: Kälte hat ein großes therapeutisches Potenzial – sie lindert Entzündungen, macht wach und hebt die Stimmung.

Der Naturheilkundler Ernst Mahner sorgte im Januar 1848 für große Aufmerksamkeit und wohl auch Gänsehautfeeling, als er auf der Höhe von Köln bei Eisgang im Rhein badete. „Die am Ufer stehenden Leute, welche einen Mann mit langem Bart und Haar mit den Eisschollen und Wellen des Flusses kämpfen sahen, hielten ihn anfangs für einen aus dem Irrenhaus Entsprungenen“, hieß es seinerzeit in einem Zeitungsbericht. Dabei war Mahner mit seiner Vorliebe für Eisbaden keineswegs allein.

Ein Jahr später entdeckte Sebastian Kneipp, damals Theologiestudent, die heilende Wirkung der Kälte für sich. Inspiriert von einem Buch des Arztes Johannes Siegmund Hahn über Kraft und Wirkung frischen Wassers versuchte er, seine Tuberkulose mit Bädern in der eiskalten Donau zu kurieren – und stellte beachtliche Erfolge fest.

Ich sehe bei unseren Patienten, dass sie nach der Behandlung erfrischt und gut gelaunt sind.
Prof. Andreas Michalsen,Chefarzt Abteilung Naturheilkunde Immanuel-Krankenhaus Berlin

Neu waren Kneipps Erkenntnisse indes nicht: Schon in der Antike wusste man die Anwendung von Kälte als Therapie zu schätzen. Heute sind Winterbaden, Kältekammern, Kryosaunen und lokale Anwendungen wie Kühlsprays und Eislollis in den Bereichen Sport, Freizeit und Medizin überaus beliebt und verbreitet: „Kältebehandlungen haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen“, sagt Carl Christopher Büttner vom Deutschen Verband für Physiotherapie. „Das liegt daran, dass sich der Forschungsstand erheblich verbessert hat.“ Dadurch sei klarer, wann und wie sich Kälte einsetzen lasse.

Aber was bewirkt Kälte im Körper? „Temperaturextreme lösen im Körper eine Gegenreaktion aus“, sagt Prof. Andreas Michalsen, Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde am Immanuel-Krankenhaus Berlin. Bei Kälte verengen sich die Blutgefäße, damit möglichst wenig Wärme verloren geht. Das Blut wird aus den Extremitäten abgezogen und in Richtung Körpermitte geleitet, um die Versorgung lebenswichtiger Organe sicherzustellen. „In der Folge haben wir kalte Hände und Füße“, erklärt er. Wie beim Sport kann man den Körper trainieren, besser und schneller auf solche Stressfaktoren zu reagieren. Das heißt: Wer sich regelmäßig Kältereizen aussetzt – etwa durch kalte Duschen –, härtet sich ab und kommt mit tiefen Temperaturen besser zurecht.

Kälte kann noch mehr

Zugleich geht Michalsen davon aus, dass Winterbaden und andere Kälteanwendungen die körpereigene Abwehr auf Trab bringen: „Sie schützen vor Erkältungen.“ Eindeutige Belege aus klinischen Studien gibt es dafür zwar noch nicht. Doch konnte zum Beispiel eine niederländische Studie zeigen, dass Kaltduscher deutlich seltener krankgeschrieben waren. Unklar blieb allerdings, ob ihr Immunsystem wirklich besser arbeitete oder ob sie sich nur stärker zusammenrissen.

Kälte kann aber noch mehr. Sie steigert die Aktivität von sogenanntem braunem Fett. Säuglinge haben besonders viel von dieser Art Fettgewebe, damit sie nicht auskühlen: Braunes Fett funktioniert wie eine Art Körperheizung und produziert Wärme, indem es Energie verbrennt. Inzwischen weiß man, dass auch Erwachsene an manchen Stellen – etwa im Hals- und Nackenbereich – noch braunes Fettgewebe haben, allerdings unterschiedlich viel. Mit dem Alter lässt die Zahl und Aktivität brauner Fettzellen nach. Wer sich regelmäßig Kältereizen aussetzt, kann das braune Fett jedoch anregen. „Braunes Fettgewebe ist sehr kostbar“, sagt Michalsen. „Es hat eine entzündungshemmende Wirkung und trägt zum Schutz vor Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei.“

Forscherinnen und Forscher der Universität Wien fanden außerdem heraus, dass Menschen mit aktivem braunen Fettgewebe bei Kälteexposition mehr Energie verbrennen als solche, die darüber nicht verfügen. Die Erkenntnis könnte im Kampf gegen Übergewicht hilfreich sein: Der Versuch, bei übergewichtigen Menschen braunes Fettgewebe zu aktivieren, gilt als vielversprechender Forschungsansatz.

Ganzkörperkältetherapien wirken sich auch bei einigen Krankheiten positiv aus: Kurze Aufenthalte in Kältekammern, in denen minus 100 bis minus 150 Grad Celsius herrschen, wirken entzündungshemmend und schmerzlindernd. Davon profitieren insbesondere Menschen mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen, etwa Morbus Bechterew. Die Effekte, sagt Michalsen, könnten drei Monate anhalten. „Außerdem sehe ich bei unseren Patientinnen und Patienten, dass sie nach der Behandlung erfrischt und gut gelaunt sind. Kälte ist ein Wachmacher und Stimmungsaufheller. Dieser Effekt müsste unbedingt untersucht werden.“ Er geht davon aus, dass Kälte ähnlich antidepressiv wirkt wie Wärme. Inzwischen gibt es nämlich Hinweise, dass sich mit Hyperthermie, also einer gezielten Überwärmung, depressive Symptome bekämpfen lassen; entsprechende Studien dazu laufen.

Vorsichtig annähern

Völlig harmlos ist es jedoch nicht, sich komplett der Kälte auszusetzen – unter anderem deshalb, weil der Blutdruck kurzfristig stark ansteigen kann. Die plötzliche Temperaturveränderung kann insbesondere für Menschen mit Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen sowie Herz- und Lungenproblemen gefährlich sein. Vor einem Kältekammerbesuch sollte man daher mit seinem Arzt oder seiner Ärztin sprechen. Auch vom Winterbaden rät Michalsen untrainierten oder gesundheitlich angeschlagenen Menschen ab. Wer sich dafür interessiert, sollte nicht im Januar spontan in den See springen, sondern sich ab Herbst vorsichtig ins kühle Nasse vorwagen und sich so langsam an niedrige Temperaturen gewöhnen. „Sonst kann es gefährlich werden. Sogar Todesfälle kommen vor, wenn auch selten“, warnt Michalsen. Kaltes Duschen kann man dagegen uneingeschränkt empfehlen: „Dabei kann nichts passieren“, sagt der Facharzt für innere Medizin.

Kälte lässt sich aber auch lokal anwenden, etwa als Kühlpad oder Kompresse. „Kälte und Wärme sind klassische Anwendungen in der Physiotherapie“, sagt Physiotherapeut Büttner. Kälte wird normalerweise bei entzündlichen Prozessen eingesetzt, etwa bei überwärmten, geschwollenen Gelenken. Auch schmerzhafte Sportverletzungen wie Prellungen oder Verstauchungen lassen sich mit Kälte behandeln, da sie die Schmerzrezeptoren blockiert.

Wärme führt dagegen dazu, dass sich die Gefäße weiten, die Durchblutung gefördert und der Stoffwechsel angeregt wird. Sie wird klassischerweise bei Verspannungen eingesetzt und bewirkt, dass sich die Muskulatur entspannt. „Wichtig ist zu beachten: Zu kalt ist genauso schlecht wie zu warm“, sagt Büttner. Das heißt zum Beispiel, dass Eis nie direkt auf die Haut gelegt werden darf, da es dann zu Gewebeschädigungen kommen kann. Bei der Wahl einer geeigneten Therapie kommt es aber immer stark auf die Vorlieben der Patientinnen und Patienten an. „Man muss sehen: Tolerieren sie eher Wärme oder Kälte?“, betont Büttner. In der Regel spürten sie, was ihnen guttue.

Das gilt auch fürs Winterbaden: Wer Kälte nicht mag, kann es mit dem Saunieren versuchen – das hat teilweise ähnliche Effekte.


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