Sportart WandernKleine Touren mit großer Wirkung

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Illustration: Wanderin auf Bergpfad, Meer im Hintergrund, Ausschnitt Beine und Füße mit Wanderschuhen

Wandern als richtiger Sport, Wochenend-Ausgabe

Unbefestigte Wege, steile Hänge, lange Strecken – das kann den Körper ziemlich fordern. Dennoch sehen viele im Wandern keine coole Sportart. Zu Unrecht, denn schon kleine Touren haben große Wirkung.

Es muss nicht gleich der Himalaya sein. Dort machte Tobias Erhardt zwar vor 30 Jahren eine Trekkingtour, die ihm zeitlebens in Erinnerung bleiben wird. Aber der Pfälzerwald, den der 57-Jährige von seinem Wohnort Landau aus bequem erreichen kann, ist auch schön. „Am Wochenende unternehme ich dort mehrstündige Wanderungen. Das ist ein wahrer Segen“, schwärmt der Professor für Therapiewissenschaften an der SRH Hochschule für Gesundheit in Gera.

„Sobald ich im Wald bin, kann ich aus dem Alltag aussteigen. Das regelmäßige Wandern tut mir gut – auch die Schlafqualität verbessert sich.“

Dass sich regelmäßiges Gehen positiv auf Körper und Geist auswirkt, ist eine alte Weisheit. Bewegt man sich zudem in der Natur, steigern sich die positiven Effekte. Schon im 19. Jahrhundert waren Ärzte von den vielfältigen therapeutischen Wirkungen insbesondere des Bergwanderns überzeugt. So empfahl der Münchner Mediziner Max Joseph Oertel 1886 das Gehen auf ansteigenden Wegen, da die damit verbundene Gymnastik „sowohl den Muskelapparat überhaupt kräftigt als insbesondere das Herz und den Blutkreislauf in ganz außerordentlicher Weise beeinflusst“.

Wissenschaftliche Studien der vergangenen Jahre zeigten, dass er damit vollkommen richtig lag, und brachten noch weitere, teils überraschende Aspekte zutage.

Wandern ist ein dehnbarer Begriff

Ein Problem dabei: „Wandern“ ist ein dehnbarer Begriff. Verbirgt sich dahinter ein gemütlicher Spaziergang am Bodensee oder eine schweißtreibende Alpenüberquerung? Der Deutsche Wanderverband (DWV) hat unter dem Stichwort „Gesundheitswandern“ ein klar definiertes Format entwickelt. Dabei handelt es sich um kurze Touren von nur drei bis fünf Kilometern mit aktiven Pausen, die für Kraft-, Koordinations- oder Beweglichkeitsübungen genutzt werden. Unterwegs ist man in einer Gruppe, die von einer zertifizierten Gesundheitswanderführerin angeleitet wird. Dieses niedrigschwellige Angebot soll gerade weniger aktive Menschen dazu anregen, sich regelmäßig körperlich zu bewegen.

Schon eine kleine Wanderung pro Woche hat beachtliche gesundheitliche Effekte: Bei einer Versuchsgruppe, die Tobias Erhardt und der Sportwissenschaftler Björn Eichmann, ebenfalls Professor an der SRH, zwei Monate lang begleiteten, sanken Blutdruck und Körperfettanteil, dagegen nahm die Muskelmasse zu. „Es handelte sich um signifikante Verbesserungen“, sagt Erhardt. So verkleinerte sich der Bauchumfang der Teilnehmenden im Mittel um rund zwei Zentimeter. „Wichtig ist aber, dass sich auch das psychische Wohlbefinden verbessert hat“, betont er.

Das hat seiner Meinung nach mehrere Gründe: Zum einen genossen die Wanderer das Zusammensein in der Gruppe, zum anderen tat ihnen die mit einem Naturerlebnis kombinierte körperliche Aktivität gut.

Doch Wandern hat noch mehr zu bieten. Bei moderater Bewegung wird laut Deutschem Wanderverband der Stoffwechsel und damit das Immunsystem aktiviert, zudem sorgt der Aufenthalt im Freien dafür, dass Vitamin D gebildet wird. Außerdem hilft die Aktivität erwiesenermaßen, Stress zu reduzieren: In einem Projekt der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport und des Deutschen Alpenvereins wurden 24 stressbelastete Probanden begleitet, die ein Jahr lang mehrere Bergtouren unternahmen.

Dabei wurden unter anderem ihre Blutdruck- und Cortisol-Werte untersucht, parallel fanden ausführliche Befragungen statt. Das Fazit: Regelmäßiges Wandern reduziert das Stresserleben, senkt den Blutdruck und fördert positive Gefühle wie Zufriedenheit und Dankbarkeit.

Wanderer berichten außerdem oft davon, in Bewegung klarer denken zu können. Das ist keine Einbildung. Inzwischen ist erwiesen, dass körperliche Aktivität die kognitiven Leistungen verbessert. Dadurch bleibt man länger geistig fit, wie der US-Mediziner Robert Abbott von der University of Virginia und sein Team vor Jahren mit einer großen Studie zeigen konnten. Sie untersuchten in regelmäßigen Abständen rund 2300 ältere Männer auf Hawaii und kamen zu folgendem Schluss: Senioren, die pro Tag mindestens 3,2 Kilometer gelaufen waren, hatten ein nur halb so großes Demenzrisiko wie jene, die weniger als 400 Meter zurückgelegt hatten. „Regelmäßigkeit ist enorm wichtig“, betont Erhardt.

Einmal im Jahr ein Wanderurlaub sei eine feine Sache – wer aber den Rest des Jahres auf dem Sofa verbringe, dürfe sich davon keine Wunder erhoffen.

Im Vergleich zu Sportarten wie Drachenfliegen oder Eisklettern ist Wandern zwar eine ziemliche harmlose Angelegenheit, aber dennoch kann man auch hier einiges falsch machen. Der häufigste Fehler ist, dass Wanderer ihre Kräfte überschätzen: „Vor langen Touren sollte man unbedingt trainieren und auch die Schuhe ausprobieren“, rät Erhardt. „Es empfiehlt sich, langsam und kontinuierlich einzusteigen.“ Wer Herzprobleme hat, sollte sich vor Gebirgstouren medizinisch beraten lassen, da körperliche Aktivitäten in Höhenlagen eine besondere Belastung bedeuten. Die Deutsche Herzstiftung empfiehlt Patienten auf jeden Fall, sich ein, zwei Tage an das Klima zu gewöhnen, bevor sie längere Etappen wandern. Kann man sich in Aktion noch mühelos unterhalten, hält sich die Anstrengung in Grenzen.

Auch die Schlafqualität verbessert sich
Tobias Erhardt, Professor für Therapiewissenschaften

Umso länger und schwieriger die Tour, desto wichtiger ist eine gute Vorbereitung, die Länge, Höhendifferenzen und Wegbeschaffenheit berücksichtigt. Auch ein Blick auf die Wettervorhersage ist wichtig: Bei Hitze sollte man nicht um die Mittagszeit unterwegs sein. Ohnehin unerlässlich sind ein guter Sonnenschutz sowie ausreichend Getränke. Proviant, etwa Müsliriegel und Apfelschnitze, gehört bei längeren Touren natürlich auch in den Rucksack. Zu stark beladen sollte man sich allerdings nicht: Sportwissenschaftler der Universität Innsbruck fanden bei einer Auswertung von Bergunfällen heraus, dass schwere Lasten das Unfallrisiko erhöhen.

Im Gebirge: Stöcke empfehlenswert

Im Gebirge helfen Stöcke, die Kniegelenke zu entlasten, und sind dort grundsätzlich empfehlenswert. Ob sie aber auch in flacheren Lagen empfehlenswert sind, muss jeder für sich selbst herausfinden. „Das kommt immer auf die eigene Fitness und das Gelände an“, sagt Christine Merkel, Referentin für Gesundheit beim DWV. „Bei Gelenkproblemen sind Stöcke bestimmt hilfreich.“

Ein viel diskutiertes Kapitel sind Wanderschuhe. Regelmäßig klagen Bergretter über unvernünftige Touristen, die mit Flipflops in alpinem Gelände unterwegs sind. Dass Badelatschen für Wanderungen ungeeignet sind, leuchtet ein, aber wie steht es mit Trekkingsandalen? „Sie sind vorne und seitlich offen. Bei einem Steinkontakt kann es da schnell zu Verletzungen kommen“, sagt Franz Güntner, Pressereferent beim Deutschen Alpenverein. „Deshalb würde ich zu geschlossenen Schuhen mit Profil raten.“

Während man zum Gesundheitswandern auch mal mit Sneakers antreten kann, spielen die richtigen Bergschuhe bei anspruchsvollen Touren eine enorme Rolle. „Falsche Schuhe können einem alles verleiden“, sagt Güntner. Das Wichtigste: Die Stiefel sollten gut passen und eingelaufen sein. „Ich empfehle, sich für den Schuhkauf viel Zeit zu nehmen und ausgiebig im Fachgeschäft beraten zu lassen.“ Grundsätzlich macht man mit klassischen Wanderstiefeln, die über die Knöchel gehen, nichts falsch. Sie stützen das Sprunggelenk und dürften so die Gefahr umzuknicken verringern – zumindest theoretisch. Praktisch bewiesen ist das nicht: In der Innsbrucker Analyse zeichnete sich ab, dass knöchelhohe Schuhe offenbar keinen schützenden Effekt haben.

Warum dann nicht gleich Barfußschuhe tragen? „Das ist eher etwas für Experten“, betont Güntner. „Voraussetzung ist eine extrem gute Mikromuskulatur und sehr viel Erfahrung – sowohl in den Bergen als auch beim Gehen mit dieser Schuhart.“ Wer untrainierte Füße in Barfußlatschen zwängt, überlastet seine Gelenke schnell – und wird mit Schmerzen gestraft. (RND)


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.

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